Der digitale Euro der EZB kommt zu spät – Die Industrie braucht schnellere Lösungen
von fpmi
Photographie © Monti Luger
Podiumsdiskussion (v. l. n. r.): Lisa Fischer, Prof. Dr. Matthes, Markus Tradt, Leona Blehova, Ramin Ghafari, Prof. Dr. Philipp Sandner
München, 27.06.2022. Die deutsche Industrie verlangt nach einer raschen und praktikablen Lösung für effizientere Bezahlvorgänge, so die Quintessenz einer Vortragsveranstaltung der Finanzplatz München Initiative und des Frankfurt School Blockchain Centers in der IHK München. Der von der EZB frühestens für 2026 angekündigte „Digitale Euro“ als Zentralbankgeld kommt hierfür zu spät. Die Vertreter aus Industrie, Finanzen und Wissenschaft stimmten darin überein, dass deutlich früher ein standardisiertes, automatisiertes Verfahren egal auf welcher Basis benötigt wird.
Den Ausgangspunkt für die Veranstaltung bildete die von der Finanzplatz München Initiative bei Professor Dr. Philipp Sandner in Auftrag gegebene Studie über den Programmierbaren Euro vom November 2021 (s. Link).
Professor Dr. Sandner verglich den Status bei Blockchain-Anwendungen mit dem Beginn der exponentiellen Verbreitung des Smartphones, das innerhalb von kaum zwanzig Jahren einen Sättigungsgrad von 100 Prozent erreichte. Professor Dr. Florian Matthes, Lehrstuhlinhaber für Informatik an der TU München, bestätigte das große Potenzial von Blockchain Technologien und Smart Contracts.
Die Start-Up Firma CashOnLedger zeigte mit dem österreichischen Traktorenhersteller Lindner ein Beispiel aus der Praxis: Ein Traktor, der in Echtzeit seine während der Nutzung erhobenen Fahrzeugdaten an ein Dashboard weitergibt. Auf Basis der Nutzungsdaten erfolgt vollautomatisch die Abrechnung sowie Rechnungsstellung und ermöglicht somit das Asset-as-a-Service-Geschäftsmodell.
Wie die Abwicklung zwischen Industrie – hier Evonik und BASF – und Finanzdienstleister – die Commerzbank, funktionieren kann, stellte Leona Blehová von der Commerzbank vor. Erstmals in Deutschland wurde mit THEMIS eine gemeinsame Blockchain-Plattform zur effizienten Abwicklung von bilateralen Supply-Chain-Prozessen zwischen Unternehmen im Livebetrieb getestet. Dabei konnten gegenseitige Forderungen von Evonik und BASF mittels eines programmierten Zahlungsprozesses hochautomatisiert und volldigital geprüft, gezahlt und verbucht werden. Mit dem digitalisierten Verfahren wurden manuelle Prozessketten verknüpft und der gesamte Prozess automatisiert. Die Effizienzsteigerung war enorm: die durchschnittlichen Manntage für Verbindlichkeiten reduzierten sich von 33 auf einen Tag!
Markus Tradt von der MunichRe ging auf Risiken wie Crypto Crime ein – allein 2021 wurden mehr als 3 Milliarden US-Dollar gestohlen, etwa 0,15 Prozent des gesamten Transaktionsvolumens. Er stellte fest, dass der Bedarf an Versicherungsmöglichkeiten wächst, und verwies auf erste Erfahrungen der Munich Re.
Die von Lisa Fischer von 21Shares moderierte Podiumsdiskussion machte noch einmal deutlich, dass es noch unklar ist, wohin die Reise gehen wird. Angestoßen durch regulative Änderungen, wie u.a. das elektronische Wertpapiergesetz (eWPG Mitte 2021), ist zukünftig die Erschaffung und der Handel von elektronischen Wertpapieren möglich, der zu einem schnelleren und kosteneffizienterem Kapitalmarkt führen kann. Die Existenz eines digitalen programmierbaren Euros könnte die zahlungsverkehrsseitige Abwicklung solcher elektronischer Wertpapiere unmittelbar beschleunigen und vereinfachen, wie Ramin Ghafari von der Siemens Treasury betonte.
Dass Europa im Vergleich zu anderen Akteuren spät dran sei und nicht noch zehn Jahre auf einen programmierbaren Euro gewartet werden könne, darüber waren sich Veranstalter und Referenten einig. Wie akut die Gefahr ist, dass Innovationen durch die USA oder China umgesetzt und die Entwicklung an Europa vorbeilaufen könnte, belegt ein aktuelles Beispiel: Das US-Kryptounternehmen Circle stellt bereits Ende Juni einen Stablecoin auf den Euro – EUROC – auf Basis der Ethereum-Blockchain zur Verfügung, als ersten Euro-Stablecoin überhaupt.
Die Vertreter aus Wissenschaft, Banken und Industrie waren sich einig, dass gerade bei jungen Menschen unter 25 Jahren die Blockchain, Kryptowährungen, DeFi und NFTs auf ein breites Interesse stoßen, so dass Bildungsangebote zu diesen Themen stark nachgefragt sind und den IT-Standort Deutschland stärken.
Über die Finanzplatz München Initiative:
Bayern mit seinem Zentrum München ist einer der bedeutendsten Finanzplätze Europas, der größte Versicherungsplatz Deutschlands, der zweitgrößte deutsche Bankenstandort und führend für Private Equity, Venture Capital, Leasing sowie Asset Management. In der Finanzplatz München Initiative haben sich alle wichtigen Unternehmen, Verbände, Institutionen sowie wissenschaftliche und staatliche Einrichtungen aus der Finanzbranche zusammengeschlossen, um mit einer Stimme zu sprechen. Gegründet 2000 unter maßgeblichem Engagement des bayerischen Wirtschaftsministeriums zählt die Initiative heute fünfzig Mitglieder und damit mehr als jede andere Finanzplatzinitiative in Deutschland.
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